„Fünf Tage im September 1912 König von Albanien“
„Man sieht nur, was man sehen will!“ In diesem Fall einen deutschen Schausteller, der es mit viel Chuzpe und Menschenkenntnis schafft, für fünf Tage König von Albanien zu sein.
Wir lernen Otto Witte als Insassen einer geschlossenen Anstalt in Salzburg kennen, in die man ihn auf Grund seiner Behauptung, König von Albanien zu sein, eingewiesen hat. Dort erzählt er dem jungen Doktoranden Alois Schilchegger seine Lebensgeschichte.
Ottos Geschichte ist eingebettet in den tristen Alltag eine psychiatrischen Anstalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Insassen werden lediglich „aufbewahrt“, mehr schlecht als recht versorgt, mit Medikamenten und Zwangsjacken ruhig gestellt sowie als Forschungsobjekte missbraucht. Während der mehrwöchigen Abwesenheit des Anstaltsleiters, der selbst krankhaft ehrgeizig auf Kosten der Patienten ist, (heute würde man ihm eine Profilierungsneurose attestieren), versucht Schilchegger unter der strengen Aufsicht der Pflegeleiterin, das Los der Menschen ein wenig zu verbessern. Dabei entdeckt er bislang ungeahnte Talente.
Doch die Vision von einer besseren Welt für die ihm, Schilchegger, anvertrauten Menschen ist ebenso schnell ausgeträumt wie Ottos Traum König von Albanien zu sein. Beide werden entlassen.
Meine Meinung:
Mir hat dieses Buch von Andreas Izquierdo sehr gut gefallen. Es ist, muss ich zu meiner Schande gestehen, das erste Buch des Autors.
Otto Witte (1872-1958) ist eine historische Figur, der es gelingt, obwohl des Lesens und Schreibens unkundig, zahlreiche Menschen zu täuschen und für fünf Tage im September 1912 tatsächlich König von Albanien zu sein. Diese geniale wie tollkühne Aktion kann er mit Hilfe seines Freundes Max Hoffmann durchziehen. Dass ein solcher Coup möglich ist, liegt natürlich auch daran, dass der Balkan zu jener Zeit, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, ein Spielball der Großmächte ist. Österreich-Ungarn, das Deutsche Kaiserreich, England, das Zarenreichen sowie diverse Splittergruppe bemühen sich, das (Macht)Vakuum, dass das zerfallende Osmanische Reich in der Region Albaniens hinterlässt, zu füllen. Man hat dabei nur die eigenen Interessen im Blick. Ein deutscher oder türkischer Prinz als König von Albanien? Genau dieses Dilemma sowie seine Bauernschläue sowie die alten Weisheit „Ober sticht Unter“ und die militärischen Gepflogenheit, dass Befehle ohne darüber nachzudenken einfach befolgt werden müssen, hilft Otto seine Scharade aufrecht zu erhalten.
Weil Menschen nur das sehen, was sie sehen wollen, bekommen sie in diesem Fall genau das, denn Otto hat die Fertigkeit und den Charme genau diese Sehnsucht zu stillen. Wie wir wissen, kommt es zwei Jahre später zu dem, von k.u.k. Diplomaten Alfred Rappaport befürchteten Kriegsausbruch, der in Europa keinen Stein auf dem anderen lassen wird.
Für uns Leser ist es höchst vergnüglich, aber auch spannend ihn dabei zu begleiten. Ein wenig erinnert die Geschichte den Friedrich Wilhelm Voigt (1849-1922), jenem Schuhmacher, der als Hauptmann von Köpenick bekannt wurde.
Schmunzeln musste ich über die Info im Epilog, dass sich Otto Witte öffentlich darüber beschwert, übergangen worden zu sein, weil er zur Hochzeit von Fürst Rainier von Monaco mit Grace Kelly keine Einladung erhalten hat. Er sei ja immerhin Ex-König von Albanien.
Nicht weniger faszinierend ist die Rahmenhandlung, in die Ottos Erzählung eingebettet ist, nämlich ein Einblick in die Psychiatrie. Man kann und mag sich die Zustände kaum ausmalen, unter denen die bedauernswerten Menschen „aufbewahrt“ worden sind: Ständig unter Drogen gesetzt, mit eiskalten Wassergüssen oder Elektroschocks „behandelt“ oder der Einsatz von Zwangsjacken. Zahlreiche Ärzte wollen sich durch Studien am lebenden Objekt profilieren.
Der fesselnde Schreibstil des Autors lässt kaum Wünsche offen.
Fazit:
Gerne gebe ich diesem historischen Roman, der mich hervorragend unterhalten hat, 5 Sterne und eine Leseempfehlung.